Der Einfluss von blauem Licht auf das menschliche Schlafverhalten
Beschwerden über Schlafstörungen haben über die letzten 50 Jahre stark zugenommen. Etwa 35 % der Erwerbstätigen in Deutschland klagen über Einschlaf- oder Durchschlafprobleme. Und auch 20 % der Kinder wachen nachts mehrfach auf und leiden morgens unter Müdigkeit oder Erschöpfung. Gleichzeitig nutzen aktuell 90 % der Menschen elektronische Geräte wie Smartphones, Tablets, E-Book-Reader oder Laptops noch bis in die späten Abendstunden. Da solche Geräte einen hohen Anteil an kurzwelligem Licht emittieren, ist das blaue Licht als eine mögliche Ursache für den Anstieg der berichteten Schlafstörungen in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Seit 2012 untersuchen Forschergruppen auf der ganzen Welt die Auswirkungen von blauem Licht auf den Organismus. Zudem werden fortwährend neue Technologien entwickelt, um den Blaulichtanteil in Lichtquellen zu reduzieren und das Wellenlängenverhältnis dem Tageslicht anzupassen.
Was ist blaues Licht und wie wird es wahrgenommen?
Licht ist aus unterschiedlichen Wellenlängen zusammengesetzt. Das, was wir als weißes Licht wahrnehmen, ist eine Bündelung elektromagnetischer Strahlen vieler unterschiedlicher Wellenlängen. Wird weißes Licht durch ein Prisma geleitet, kann das Spektrum des Lichts - das heißt, die unterschiedlichen Lichtanteile unterschiedlicher Wellenlängen - sichtbar gemacht werden. Abhängig von der Wellenlänge werden die einzelnen Strahlen mit unterschiedlichen Winkeln gebrochen und driften deshalb nach dem Austreten aus dem Prisma in leicht unterschiedliche Richtungen weiter. Der für das menschliche Auge sichtbare Wellenlängenbereich reicht von ca. 400 nm bis 720 nm - nicht ganz zufällig ist das auch der spektrale Bereich, in dem die Strahlung unserer Sonne am intensivsten ist.
Künstliche Lichtquellen jenseits von Sonne und Feuer existieren seit etwa 120 Jahren. Sie variieren teilweise deutlich in ihrem spektralen Aufbau und weichen praktisch alle vom Profil der Sonnenstrahlung ab. Während traditionelle Glühbirnen im Vergleich zur Sonne einen höheren Rotlicht- und Infrarotanteil besitzen, verfügen viele energieeffizientere Lampen oder LEDs über ein Profil mit einem vergleichsweise hohen Blauanteil. Der Peak liegt hier im Bereich zwischen 420 nm und 480 nm (blaues Licht). Inzwischen existieren auch sogenannte „warmweiße“ LEDs, bei denen der Blaulichtanteil meist durch eine filternde Beschichtung reduziert wurde. Mit Spektrometern kann das emittierte Licht von Lichtquellen gemessen, in die spektralen Anteile zerlegt und damit differenziert verglichen werden. So kann bei jeder Lichtquelle der jeweilige Blau- oder Rotanteil ermittelt werden.
Während die Strahlung zwischen 400 und rund 700 nm zusammengenommen für uns Menschen weiß erscheint (die einzelnen Wellenlängen sind für uns nicht sichtbar), nimmt die Sensorik unseres Auges durchaus Unterschiede wahr. So existieren Fotorezeptoren, die allein auf Hell-Dunkel-Unterschiede reagieren, aber auch Rezeptoren, die ganz bestimmte Wellenlängen erkennen. Die Fotorezeptoren der Retina werden als Stäbchen und Zapfen bezeichnet. Es handelt sich um Proteine, die im Augenhintergrund eingebettet sind und bei Aktivierung Signale an das Gehirn übermitteln, wodurch biochemische Prozesse an- oder abgeschaltet werden. Je nachdem, welche dieser Rezeptoren aktiviert werden, verändert sich die Genexpression, der Hormonstatus oder der Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen.
Die Stäbchen enthalten alle das gleiche Fotopigment - Rhodopsin. Diese Fotorezeptoren sind vermehrt bei Dämmerung und in der Dunkelheit aktiv, während die Zapfen für das scharfe Sehen am Tag sowie für die Unterscheidung der Farben verantwortlich sind. Es gibt drei Arten von Zapfen, die alle mit einem unterschiedlichen Proteinanteil (Opsin) im Sehpigment ausgestattet sind. Alle Opsine sind G-Protein gekoppelte Rezeptoren, die bei Aktivierung eine Signalübermittlung in der Zelle einleiten. Die Opsine der Zapfen, die zu einer Farbempfindung führen, werden unter dem Oberbegriff Photopsine zusammengefasst. Sie werden als L-, M- oder S-Opsine bezeichnet, je nachdem, ob sie auf langwelliges Licht (L, 580 nm), mittlere Wellenlängen (M, 530 nm) oder kurzwelliges Licht (S, 420 nm) reagieren. Die Wellenlänge, die vermehrt auf die Netzhaut auftrifft und von den Sensoren registriert wird, bestimmt, welche biochemischen Aktivierungsprozesse in Gang gesetzt werden.
Das in den 1990er Jahren entdeckte Melanopsin (480 nm) befindet sich in den retinalen Ganglienzellen und dient der Übermittlung von Informationen über die Umgebungshelligkeit. Die Aktivierung dieses Proteins beeinflusst den zirkadianen Rhythmus und die Melatoninproduktion. Die Wellenlängenempfindlichkeit des Melanopsins zeigt, dass die Proteine genau durch den Lichtanteil aktiviert werden, der im abendlichen Sonnenlicht relativ schwach vorhanden, von LED-Bildschirmen aber tageszeitunabhängig ausgestrahlt wird.
Biologische Effekte von Blaulicht
Licht - egal, ob Tageslicht oder künstliches Licht - hat potenziell Einfluss auf den Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen. Helligkeit oder Dunkelheit beeinflusst die „innere Uhr“ oder den zirkadianen Rhythmus. Sitz dieser Uhr ist die Zirbeldrüse (oder Epiphyse) im Gehirn. Hier wird aus Serotonin ein Hormon produziert - das sogenannte Melatonin. Die Synthese erfolgt in zwei Schritten durch zwei unterschiedliche Enzyme, wobei die Aktivität des ersten Enzyms lichtreguliert ist. Sobald es dunkel wird, steigt die Sekretion von Melatonin an, während Helligkeit die Ausschüttung hemmt. Besonders stark wird die Ausschüttung gehemmt, wenn der Anteil an blauem Licht hoch ist. Gerade dieses Licht aktiviert das Melanopsin in der Netzhaut, was eine Signalkaskade in Gang setzt, die das Gehirn in einen Aufmerksamkeitsstatus versetzt. Wer sich tagsüber mit blauem Licht umgibt, aktiviert sein Gehirn, erhöht die Aufmerksamkeit und die Gedächtnisleistung und fördert zudem den besseren Schlaf während der Nacht. Das Sonnenlicht vollzieht gegen Abend eine Rotverschiebung - im Gegensatz zu den allgegenwärtigen Bildschirmen. Die Vermutung ist deshalb, dass Personen mit Einschlafstörungen gegen Abend die Bestrahlung mit blauem Licht reduzieren sollten, da sich sonst chronische Schlafstörungen entwickeln können. Dagegen sollen abends Lichtquellen mit geringer Leuchtkraft und einem hohen Rotanteil das Einschlafen fördern.
Es existieren Hinweise, dass blaues Licht die Kontrastwahrnehmung reduzieren und bei langfristiger Exposition auch zu einer Netzhautschädigung führen kann. Notwendig dafür sind aber Lichtstärken, die ähnlich intensiv wie die sommerliche Mittagssonne sind und von Bildschirmen nicht näherungsweise erreicht werden. Ein positiver Effekt von Blaulicht ist die Umwandlung des Bilirubins beim Neugeborenenikterus. Auch bei einigen Hauterkrankungen wie Schuppenflechte, Akne oder Neurodermitis wird blaues Licht zur Therapie eingesetzt. Allerdings werden die Augen bei solchen Behandlungen geschützt.
Aktueller Forschungsstand zu blauem Licht und Schlafverhalten
Millionen Menschen klagen weltweit über Einschlafprobleme oder Schlafstörungen. Jugendliche und Erwachsene im Alter zwischen 15 und 65 Jahren sind besonders stark betroffen. Schlafstörungen können vielfältige Ursachen haben. Sie können in einer bestimmten Lebensphase auftreten oder zu einem chronischen Leiden werden. Neben Stress, starkem Kaffee- und Alkoholkonsum und bestimmten Krankheitszuständen – vier Hauptrisikofaktoren für das Auftreten von Schlafstörungen – haben neuere Studien ergeben, dass die Unterbrechung oder die Verschiebung des natürlichen zirkadianen Rhythmus das Schlafverhalten beeinflusst. Zunächst festgestellt wurde dies bei Schichtarbeitenden, die nachts künstlichem Licht ausgesetzt sind. Durch den unregelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus sind in der Folge gravierende Gesundheitsschäden bis hin zum steigenden Risiko von Krebsleiden (Brustkrebs, Darmkrebs sowie Prostatakrebs) aufgetreten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat seitdem Schichtarbeit als mögliches Karzinogen deklariert. Dänemark hat deshalb auch begonnen, Schichtarbeiterinnen, die an Brustkrebs erkrankt sind, Entschädigungen zu zahlen.
Immer mehr Menschen nehmen versehentlich auch selbstständig Einfluss auf die innere Uhr. Eine starke Beleuchtung des Wohnraums während der Abendstunden oder die Nutzung moderner elektronischer Geräte mit LED-Screen kurz vor dem Zubettgehen stehen ebenfalls im Verdacht, eine Verschiebung des zirkadianen Rhythmus zur Folge zu haben. Eine Studie aus 2014 hat gezeigt, dass die Nutzung von E-Book-Readern vor dem Einschlafen das Schlafverhalten beeinflussen könnte. Dabei wurden die E-Reader für vier Stunden in einem Abstand von 30 bis 40 cm von den Augen genutzt. Eine Kontrollgruppe las für dieselbe Zeit ein gedrucktes Buch. Das Ergebnis zeigte eine deutliche Verschiebung der Hormonausschüttung. Während die Leser der gedruckten Bücher - die nur dem von den Buchseiten reflektiertem Licht mit einem Peak bei 612 nm ausgesetzt waren - eine normale Melatoninausschüttung zeigten, setzte die Hormonausschüttung der E-Book-Reader- Nutzer anderthalb Stunden später ein. Zudem wurde bei den Teilnehmern, die das elektronische Gerät nutzten, nur etwa die Hälfte an Melatonin produziert. Weitere Auswirkungen waren eine Verringerung der REM (rapid eye movement)-Schlaffrequenzen sowie eine Übermüdung am nächsten Morgen.
Eine Studie aus New York aus dem Jahr 2013 lieferte ähnliche Resultate. Hier wurde die zweistündige Arbeit an Tablets in den Abendstunden untersucht. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe nutzte die Tablets eingestellt auf die höchste Lichtintensität. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe verwendeten zusätzlich blaulicht-emittierende Brillen (470 nm, 40 Lux) und die dritte Gruppe trug Brillen, die jede optische Strahlung unter 525 nm aus dem Licht filterte (Kontrollgruppe). Die Melatonin-Level wurden nach einer und nach zwei Stunden untersucht. In der Gruppe, die die Tablets mit blaulicht-emittierenden Brillen nutzte, war die Melatoninausschüttung schon nach der ersten Stunde signifikant reduziert, während die Produktion bei den Tabletnutzern ohne Brille (Gruppe eins) erst nach der zweiten Stunde deutlich absank (um bis zu 23 %).
Eine Studie aus Basel bestätigte, dass Blaufilter nützlich sein können, um einen gesunden zirkadianen Rhythmus aufrechtzuerhalten. Hier wurden dreizehn 15- bis 17-jährige männliche Jugendliche getestet. Die Teilnehmer bekamen ebenfalls Brillen, entweder mit reinen Glaslinsen oder mit Linsen, die den Blaulichtanteil blockieren, während sie für drei Stunden vor dem Schlafen einem LED-Bildschirm nutzten. Auch hier zeigte sich: Die Melatoninproduktion stieg deutlich später an und war insgesamt geringer bei den Teilnehmern mit den Brillengläsern aus reinem Glas.
Die meisten dieser Studien zeigen jedoch methodische Schwächen. Fast alle untersuchen nur kleine Personengruppen, in kleinen Zeiträumen, in teilweise unrealistischen Experimentalsettings. So ist 2-, 4- oder in einer Studie sogar 8-stündiges Lesen im Bett keine sehr realitätsnahe Versuchs-Situation. Viele Untersuchungen beschränken sich zudem auf das Messen des Melatonin-Levels, ohne das tatsächliche Schlafverhalten zu untersuchen. Zwar ist die wichtige Rolle des Melatonins für den zirkadianen Rhythmus bekannt, klare zeitliche Zusammenhänge und die Bedeutung relativ zu anderen Faktoren jedoch noch nicht hinreichend erforscht worden. Nicht zuletzt deshalb weist auch die EU darauf hin, dass es noch keinen Nachweis für Effekte blauen Lichts erbracht werden konnte (PDF).
Auch sind die künstlichen Lichtquellen, ob LED oder Handy-Bildschirm, wesentlich leuchtschwächer als die Sonne. Bei einem Sommertag mit klarem Himmel kommt eine Leuchtstärke von rund 100000 Lux bei unseren Augen an. Der Blauanteil für sich entspricht dann immer noch mehreren 10000 Lux. Zum Vergleich: Äußerst leuchtstarke Handy-Displays schaffen maximal 1000 Lux - in realen Situationen (mit reduzierter Helligkeit und nicht nur weißem Bild) werden also meist unter 100 Lux an blauem Licht emittiert.
Filterung von Blaulichtanteilen
Die Studien zeigen, dass elektronische Geräte wie Smartphones, Tablets oder moderne Computerbildschirme Einfluss auf die Melatoninproduktion in der Nacht haben können. Wer trotz des nicht nachgewiesenen Effekts auf das reale Schlafverhalten auf Nummer Sicher gehen möchte, dem/der stehen am Markt eine Vielzahl an Optionen zur Verfügung. So gibt es für die meisten Handys und Tablets spezielle Displayfolien, die den Blauanteil wegfiltern. Aber Achtung: Hier gibt es durchaus auch betrügerische Angebote. Wir haben selbst einmal verschiedene Folien bestellt, um ihre Filtereigenschaften spektrometrisch zu analysieren. Eine dieser Folien - sie war nicht billig - stellte sich schlicht als dickere Form von Frischhaltefolie heraus. Der Blauanteil wurde überhaupt nicht gefiltert. Eine tatsächlich funktionierende Blaufilterfolie können Sie mit bloßem Auge deutlich erkennen: Blauanteile fehlen, ehemals weiße Flächen erscheinen nun gelb. Eine Folie, die Blauanteile filtert, ohne das Bild deutlich zu beeinflussen, kann es nicht geben.
Es gibt aber auch verschiedene Möglichkeiten, den blauen Lichtanteilen nicht mit Folien, sondern per Software entgegenzutreten. Für die meisten Betriebssysteme, ob Handy oder Computer, gibt es Anwendungen, die automatisch und tageszeitgesteuert die Blauanteile in der Darstellung reduzieren. Die Bildschirme simulieren in diesem Fall das sich verändernde Spektrum der untergehenden Sonne auch in den eigenen vier Wänden.
Fazit
Schlafstörungen sind allein in Deutschland für Millionen von Menschen eine deutliche Belastung ihrer Lebensqualität. Unser Melatoninhaushalt spielt eine große Rolle für die Aufrechterhaltung des zirkadianen Rhythmus - unserer inneren Uhr. Zahlreiche Studien konnten unter Laborbedingungen die Beeinflussung des Melatoninhaushalts durch Zimmerbeleuchtung und teilweise auch durch blaue Beleuchtung nachweisen. Für einen Einfluss unter den realen Bedingungen unseres Alltags konnte bis jetzt jedoch keine Wirkung nachgewiesen werden. Das heißt natürlich nicht, dass kein Effekt existiert. Jedoch muss er, falls er existiert, zwangsläufig so klein sein, dass er bisher im statistischen Rauschen untergegangen ist.
Im Gegensatz zur Filterung blauen Lichts gibt es jedoch nachweisbar wirksame Methoden, z.B. die Etablierung einer strikten Schlafhygiene, regelmäßiger Sport, verhaltenstherapeutische Ansätze wie Meditation, Autogenes Training oder Progressive Muskelrelaxation oder auch psychotherapeutische Ansätze wie die paradoxe Intention.